Fragments
Dean Sameshima

ERÖFFNUNG:
Samstag 17 Mai 2025
19 — 23 Uhr

GEÖFFNET:
18 Mai — 27 Juli 2025

Eröffnung: 17. Mai, 19 Uhr
Laufzeit: 18. Mai – 27. Juli 2025

Begrüßung: Dr. Birgit Schillak-Hammers (Vorstand NAK)
Einführung: Maurice Funken (Direktor NAK)

Der NAK Neuer Aachener Kunstverein freut sich mit Fragments die erste institutionelle Einzelausstellung des amerikanischen Künstlers Dean Sameshima präsentieren zu dürfen.

Der multidisziplinär arbeitende Künstler verhandelt in seiner künstlerischen Praxis Themen wie Sichtbarkeit und Begehren, spürt Subkultur und queerer Identität nach und lotet die Beziehung zwischen Kunst und Betrachter_innen aus.

Der NAK stellt die mehrteilige Fotoserie being alone aus, welche bereits in der Ausstellung Foreigners Everywhere auf der 60. Biennale in Venedig große Beachtung fand. Im Unterschied zur dortigen Präsentation, wird im Kunstverein die vollständige Serie in ihrer Gesamtheit von 25 Arbeiten ausgestellt.

Sameshima hat für die Serie unbemerkt Menschen vor der Projektionsleinwand in Sexkinos fotografiert, die somit vor einer hellen, leuchtenden aber auch ebenso leeren Fläche in dunklen Konturen umrissen werden. Gemeinsam einsam? Gemeinsam alleine. Vorher. Nachher. Aber dazwischen? Es ist eine klare Abstraktion eines sehnsüchtigen Verlangens, das sich in Sameshimas Fotoserie von der individuellen, anonymen Projektion des Begehrens ins Überpersönliche und Zeitlose vervielfältigt, Verdoppelung und Verdreifachung des Blicks inklusive.

Mit being alone fängt Dean Sameshima somit nicht nur schemenhafte, nicht näher zu benennende Personen als Silhouetten ein, deren Anonymität der Künstler nicht nur wahrt, sondern willentlich herbeiführt, auch das Interieur des Pornokinos wird gleichermaßen dokumentiert, ein Ort des Verschwindens. Aber ebenfalls ein Ort der verschwindet, ein Relikt vergangener Tage, das Ende einer Ära, post-Internet. Und dennoch: der weiße Screen als Wunsch, Hoffnung, Erlösung, das Licht. Zumindest für die Kinobesucher.

Für die Betrachter_innen in der Ausstellung dagegen wird der weiße Screen eine zu füllende Leerstelle, ein Ort des Potentials, der Möglichkeiten: die Projektion auf die Projektion. Stets das Wissen um den Ort dennoch im Kopf und assoziativ den höchstwahrscheinlich pornografischen Inhalt des expliziten Films imaginierend. Es ist eine Projektion auf das unterschiedliche, da individuelle Nichts. Es fehlt der Film. Weder Film noch Personen sind zu erkennen. Und doch weiß man genau was vor sich zu gehen scheint. Darüber hinaus doppelt der eigene Blick im Ausstellungsraum die Situation im Kino, ein Schauen, Suchen, Beobachten, der Blick vermeintlich geradeaus, dennoch Spannung.

Im zweiten Ausstellungsraum des Kunstvereins präsentiert Sameshima neue Malereien aus den Serien figures und fragments. Auch hier im Blick: das Abwesende. Mit der im letzten Jahr begonnenen Serie figures referiert Sameshima gekonnt auf das eigene Œuvre. Im Jahr 2007 begann er Arbeiten unter dem Titel numbers anzufertigen, die sich in der Farbgebung und Betitelung auf den sogenannten Hanky Code beziehen, ein Signalsystem per eingestecktem Taschentuch, mit dem die Vorlieben für bestimmte Arten von Sex und Stellungen innerhalb der schwulen Szene kommuniziert werden.

In den 1970er Jahren veröffentlichte das US-amerikanische Drummer Magazin mit Erotic Dots, ein augenzwinkerndes Puzzlespiel, bei dem eine zwischen einer Reihe nummerierter Punkte gezogene Linie den Umriss einer sexuell eindeutigen Szene enthüllte. Ermutigt durch die beiliegende Anleitung, getreu dem Motto folgend „Kreieren Sie Ihr eigenes erotisches Kunstwerk“, stellte Sameshima diese zu ergänzenden Zeichnungen zunächst für Numbers und nun für figures in Farbfeldern nach.
Für figures kombiniert Sameshima die Punktzeichnungen mit Material aus dem eigenen fotografischen Werk oder eignet sich Bilder anderer Autoren an, um hier neue Figuren und Protagonisten zu finden. Ebenfalls finden Textfragmente und Notizen Einzug in die Arbeiten, die im Siebdruck auf die Leinwand gebracht werden. Dabei referiert Sameshima durchaus bewusst auf künstlerische Vorbilder wie Robert Rauschenberg, die ebenfalls eigene fotografische Arbeiten in Siebdrucke eingebunden haben. Auch die innere Komplexität der figures nimmt im Vergleich mit den numbers zu, beispielsweise durch eine breitere Farbpalette.

Hier trifft beispielsweise der Index des Buchs The Joy of Gay Sex von Charles Silverstein und Edmund White auf die Fotoaufnahmen von Glory Holes aus Sameshimas Erdbeermund Diptychen oder ein Selbstporträt des Künstlers auf die typografische Bearbeitung von Roland Barthes A Lover’s Discourse: Fragments – ein Buch, dessen Untertitel Sameshimas Ausstellung im Kunstverein ihren Titel verleiht.
Ergänzt um Muster von Papiertaschentuchschachteln, die über ein Jahrzehnt durch den Künstler in einem Pornokino gesammelt wurden, ein „No Cruising”-Schild vom Griffith Park Boulevard in Silverlake, Los Angeles, Notizen von Telefonsex-Werbung aus den frühen 2000er Jahren, Innen- und Außenansichten von Sexclubs und -kinos zeugen sie alle von einer explizit schwulen Lebenswelt und Geschichte, an der Sameshima sowohl teilnimmt als sie auch beobachtend festhält, ihre Referenzen sammelt, ihr Verschwinden dokumentiert und zugleich künstlerisch archiviert. Zudem verdichten sich in jedem einzelnen Werk der figures die kollidierenden Inhalte zu einer komprimierten Retrospektive.

Wohingegen Sameshimas numbers auf die buchstäblichen Zahlen der Bilder sowie auf das Wort Numbers, das gemeinhin im englischsprachigen Raum ebenfalls für sexuelle Dienstleistungen durch männliche Prostituierte verwendet wird (bekannt geworden in dieser Konnotation durch John Rechy in seinem semi-autobiografischen Roman Numbers aus dem Jahr 1967, den Sameshima hier zitiert) Bezug nehmen, so kennzeichnet der neue Titel figures eine Nähe als auch eine Distanz der neuen Werke zur früheren Serie. Vor allem die durch eine besondere Dichte und mannigfaltige Schichtungen unterschiedlicher Vorlagen und Informationen lassen viel Raum für mögliche inhaltliche Projektionen und das Auffinden der Figuren in den figures. Sameshima schafft so zugleich ein allgemeingültiges aber zugleich auch überaus privates Archiv des queeren Raums, des Zugangs, der Signalisierung und der Sprache.

Diese Idee vertiefend, begann der Künstler unmittelbar danach mit der Arbeit an der Serie fragments. Diese jüngste Werkserie ist weniger abstrakt und lässt die Idee, die Punkte zu verbinden, hinter sich. Die fragments bestehen aus Siebdrucken von Fotografien aus Sameshimas Archiv, die ausdrücklich nie ein Bild wiederholen, abgesehen von den Grundbildern des Fußbodens, und manchmal Kapitelüberschriften aus Barthes’ A Lover’s Discourse aufweisen. Alle fragments beginnen mit zwei verschiedenen Grundbildern des Fußbodens eines Pornokinos, in der Regel mit Spermaspuren und der Anwesenheit der eigenen Schuhe des Künstlers, der sich damit in jedes Werk einschreibt. Meistens aus seinem eigenen Archiv, wie Fotografien oder Polaroids, aber auch aus veränderten Bildquellen wie Screenshots von Amateurpornos, schichtet Sameshima mehrere Bilder übereinander und schafft so einmal mehr eine dichte Collage aus meist bildlichen Informationen, die ihrem Titel entsprechend dennoch Fragmente bleiben.

Vervollständigt wird die Präsentation im NAK mit Arbeiten aus der Serie traces aus dem Jahr 2024/2025, die Dean Sameshimas Auseinandersetzung mit dem eigenen fotografischen Archiv thematisiert und wie es in gegenwärtige Arbeiten einfließt. Auch behandelt die Serie abermals die Idee des Verschwindens (queerer) Geschichte: viele der in den Fotos gezeigten Orte existieren heute nicht mehr, haben aber Spuren hinterlassen. Im Treppenhaus des Kunstvereins realisiert Sameshima eine neue Zusammenstellung der traces, die die Arbeiten im Unter- und Obergeschoss zueinander lose in Bezug zu setzen vermag. Sie sind allesamt Fragmente einer offenen Erzählung.

Dean Sameshima (1971, Torrance, CA) studierte am California Institute of the Arts, Valencia, CA sowie anschließend am Art Center College of Design, Pasadena, CA. Sameshimas Arbeiten befinden sich in den ständigen Sammlungen des Getty Museum, Los Angeles, Hammer Museum, Los Angeles, Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles, Museum of Contemporary Art, Los Angeles, der Henry Art Gallery, Seattle, Cantor Arts Center der Stanford University, Stanford und des Museo de Arte São Paulo, São Paulo. Er wurde 2022 mit dem Artist Acquisition Club Award ausgezeichnet. Der Künstler lebt und arbeitet in Berlin.

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