In dem neu ins Leben gerufenen Format Besuch bei Kollegen möchte der NAK Neuer Aachener Kunstverein in regelmäßig unregelmäßigen Abständen die Ausstellungen anderer Kunstvereine und Ausstellungshäuser besuchen und darüber berichten.

Different Echoes. Kunstmuseum Gelsenkirchen. Text von Ann-Kathrin Mäker

“Sechs Echos, die sich überlagern und in einer gemeinsamen Frequenz schwingen. In Farbe und Form reduziert, entwickelt jede Position eine eigene differenzierte Sprache und verweist zugleich auf die andere Position.” – Friedhelm Falke

Seit dem 27. November 2016 ist die Ausstellung ,,Different Echoes” in der Alten Villa des Kunstmuseums Gelsenkirchen zu sehen. Gezeigt  werden Malerei von Nikola Dimitrov, Friedhelm Falke und Annette Wesseling, Skulpturen von Ekkehard Neumann, Objekte von Sigrún Ólafsdóttir und farbige Wandinstallationen von Elly Valk-Verheijen. Der Titel des Ausstellungsprojektes ,,Different Echoes” soll auf eine Vielseitigkeit verweisen, denn ein Echo kann unterschiedlich lokalisiert werden. So setzen sich die Ausstellenden unterschiedlich mit der Geschichte der abstrakten Kunst auseinander und beziehen sich dabei auf unterschiedliche kunsthistorische Vorbilder und Vorläufer. Sie loten in ihren Arbeiten Suggestionen von Bewegung und Ruhe in der Fläche und im Raum aus. Die sechs Künstler und Künstlerinnen bilden nicht nur jeder für sich ein unterschiedliches Echo, das im Bezug auf die Vorläufer steht, sondern auch einen Resonanzkörper füreinander. Es muss jedoch klar betont werden, dass trotz der Bezüge  der Arbeiten und der Inspiration untereinander eine Singularität der einzelnen Positionen besteht, da jede Position für sich genommen authentisch, individuell und verschieden ist. Alleine schon dadurch, dass jeder sein eigenes künstlerisches Medium, sein Material und seine eigene Aussageform hat.

Im Jahre 2015 fanden sich die Künstler und Künstlerinnen zu einer namenlosen, temporären Ausstellungsgruppe zusammen, dieses und kommendes Jahr in Form einer Ausstellungstournee eine Fortsetzung findet. Die Gruppe verbindet ein reduziertes, ungegenständliches Formenvokabular, als auch eine zurückhaltende Farbgebung. Die Werke lassen sich meistens  zur konkreten Kunst zählen.

Nikola Dimitrov setzt Linien und Striche akkurat auf Papier und Leinwand nebeneinander. Da der Maler ausgebildeter Konzertpianist ist, zieht der durch die Anordnung einen Vergleich zu einer Partitur, die ebenfalls einem strengen Ordnungssystem unterworfen ist. Blickt der Betrachter längere Zeit auf seinen Werken, beginnt es vor den Augen zu flimmern, wodurch das Werk lebendig wird; es scheint sich zu bewegen. Die Werke vermitteln eine Grenzenlosigkeit an Wiederholungen, Variationen – sich überlagernden neuen Mustern. Durch die Wahl seiner Titel, wie Klangraum III, IV oder Komposition II erwecken die Linien und Striche Assoziationen mit Tonwellen oder an ein Echo, das durch die Striche versinnbildlicht wird.

Die oft geometrischen Farbflächen des Malers Friedhelm Falke erinnern an Architektur, Fassaden, Lichtlandschaften, und auch Bewegung und Ruhe spielt bei seinen Arbeiten eine wichtige Rolle. So setzt er in seinen Werken bewusst starre Trennungen zwischen Bewegung und Starrheit, Begrenzung und endlos erscheinendem Raum, Struktur und Strukturlosigkeit. Seine Werke bestechen durch den Gegensatz und dem trotzdem vorherrschenden Einklang. So stehen die gegensätzlichen Formen und Farben in seinen Werken im Disput miteinander, auf der anderen Seite bedingen sie sich jedoch auch und lösen eine Harmonie aus,  da  sie im Auge des Betrachters im stetigen Wechsel vor und zurück treten.

Annette Wesseling trägt zunächst die Farbe zwar klassisch auf die Leinwand auf, lässt sie dann jedoch vom Licht und Wetter verändern. Dazu setzt sie ihre Leinwände  oft wochenlang dem Sonnenlicht aus, faltet die Stoffe aber immer wieder neu, wodurch die Natur Farbe, Formen und Strukturen entwickelt. So spielt ein geplantes Zufallsprinzip in ihren Werken eine große Rolle und es bleibt dem Betrachter überlassen, was er in ihren Werken erkennt und welche Erinnerungen hervorgerufen werden. In ihrer zweiten Werkgruppe bemalt sie Holographiefolie  wodurch ebenfalls ein Spiel mit Licht und Bewegung beginnt, denn abhängig vom Standpunkt des Betrachters und dem Lichteinfall ändert sich das Bild und scheint sich zu bewegen.

Die Arbeiten von Elly Valk-Verheijen, digitalisierte Fotos weißer Wände, malerisch als knallbunte Pixel umgesetzt, reagieren auf den Ort. Dieser kann das Museum selbst sein oder jeder andere von der Künstlerin gewählte Ort. Ihre Arbeiten sind dadurch zwischen Malerei und Installation, Abbildung und Konstruktion, Realität und Virtualität. Sie erinnert mit ihren Arbeiten daran, sich nicht voreilig für das Eine oder Andere zu entscheiden, sondern dass auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden kann, sich immer wieder ein neues Bild vom Bild zu machen.

Ekkehard Neumann zeigt Bodenfaltungen und Wandstrukturen aus Eisen. Die Eisenskulpturen an den Wänden wecken bei dem Ausstellungsbesucher Erinnerungen an Zeichen, Symbole, Runen, Hieroglyphen aus längst vergangener Zeit oder ähnliches. Zudem wirken sie trotz der Materialität fein, filigran und leicht und vermitteln den Eindruck als bewegten sie sich über die Wand. Zunächst stehen die minimalistischen Wandarbeiten im harten Kontrast zu den großflächigen und schweren Bodenarbeiten. Betrachtet man die Bodenskulpturen jedoch eingängig, verleihen ihnen die Faltungen und geometrischen Formen eine Leichtigkeit. Die Faltungen neigen sich dem Betrachter entgegen, verlieren die Bodenhaftung und wirken als könnten sie jederzeit beginnen zu schweben oder als könnten sie über den Boden tanzen. Dadurch spielen beide Arten von Skulptur mit Bewegung und der Wirkung im Raum.

Sigrun Ólafsdóttir formt aus schwarzem Gummi Objekte, die sich im Raum zu winden und zu drehen scheinen. Sie bestechen durch ihre leichte Form und muten tänzerisch an, und es fällt schwer, sie nicht zu berühren und durch einen kleinen Anstoß tatsächlich zum Tanzen zu bringen. Auf dem ersten Blick erscheint das großformatige Raumobjekt “Luzifer” anders und als passe es nicht so recht zu ihren schwerelosen Objekten. “Luzifer” besteht aus einem Holzkörper, der überzogen ist mit schwarzem Gummi. Aber auch dieses Objekt lässt sich gedanklich im Kopf mit dem Finger antippen, um eine pendelnde und kippende Bewegung des Körpers und des Kopfes auszulösen, wodurch auch ihm gedanklich eine Leichtigkeit zu Teil wird.

Die Bezugnahme der Künstler untereinander und die gemeinsame Thematik “Bewegung und Ruhe” macht die Ausstellung deutlich, ohne langweilig zu werden, da die unterschiedlichen Positionen immer wieder für neue Erfahrungen sorgen. Unterstützt wird dies durch die Ausstellungsräumlichkeiten der Alten Villa, die sich über drei Etagen erstreckt. Kunst trifft immer auf ein unterschiedliches Echo. Was dem einen gefällt, lehnt der andere empört ab. In diesem Kontext erzeugt Kunst aber auf jeden Fall  einen Widerhall auf das Werk anderer Kreativer.

Courtesy Kunstmuseum Gelsenkirchen

Fernand Léger – Malerei im Raum. Ludwig Museum, Köln. Text von Katerina Chatzinikolaou

„Zwischen diesen drei muss eine Einigung gefunden werden: die Mauer – der Architekt – der Maler.” Keine andere Aussage kann diese Ausstellung besser beschreiben. Dieser von Léger im Jahr 1933 formulierte Satz charakterisiert die Ideologie und das ganze Werk des Künstlers. Fernand Léger, ein Zeitgenosse von Picasso und Braque, war Maler, Bildhauer, Grafiker, Keramiker und Filmregisseur. Er hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelebt und gewirkt. Er zählt zu den wichtigsten Künstlern der Moderne. Sein Œuvre folgt den künstlerischen Stilrichtungen vom Impressionismus bis zum Kubismus und Futurismus. Seine Arbeit hat sowohl den öffentlichen als auch den privaten Raum dekoriert. Sie umfasst hauptsächlich Wandgemälde, Grafik- und Textildesign, Skulpturen und Kurzfilme. Die Ausstellung beinhaltet zudem einige Projektskizzen sowie Kostüm- und Bühnenentwürfe für die Produktion der Filme.

Die ersten kreativen Jahre Légers sind nicht nur von der Erfahrung des Ersten Weltkriegs, sondern auch von dem Gipfelpunkt der Industrialisierung und dem technologischen Fortschritt der Epoche beeinflusst. Die Kurzfilme Skating Rink und Ballet Mécanique sowie  die Szene in Marcel L’Herbiers L’Inhumaine stellen im Beginn der Ausstellung charakteristische Beispiele für diese Epoche dar. Dabei steht die Auseinandersetzung mit Bewegungen, Maschinen, Formen und Objekten im Mittelpunkt. Darüber hinaus ist der Einfluss der kubistischen Strömung in Légers ersten Gemälden deutlich. In den Wandgemälden der 1920er Jahre (peintures murales) werden geometrische Formen und starke Elementarfarben benutzt. Das Ergebnis muss nach Léger „in Harmonie mit der Architektur” kommen. Seine Grafiken und Entwürfe zählen ebenso als kubistische Werke. Charlot Cubiste präsentiert – wie der Name selbst hindeutet – den berühmten Komiker Charlie Chaplin auf eine geometrische und synthetische Art und Weise. Auch der Entwurf für einen Teppich (Tapis Blanc) weist kubistische Merkmale auf.

In den 1930er Jahren ist ein Wandel in Légers Arbeit zu merken;  der Fokus liegt nicht mehr auf industriell gefertigten Objekten, sondern wird auf die Natur, die Landschaft und die weibliche Figur übertragen. Der Künstler verwendet in dieser Phase organische und biomorphe Formen und dazu gemischte und komplexere Farben. Typische Beispiele der Ausstellung sind die Gemälde Les Quatre Saisons, Nature Morte, Femme Couchée, Les Troncs d’Arbres und Branches. In den Jahren 1937 und 1939 wird ein großer Teil von Légers Werk – vor allem Fotokollagen, Gemälde und kinematische Wandbilder – in den Weltausstellungen in Paris bzw. New York präsentiert. Selbst die bekanntesten Monumente der beiden Städte, nämlich der Eiffelturm und die Freiheitsstatue, werden im Kontext des Modernismus auf eine innovative Weise skizziert, welche die Kunstrichtung der Pop Art evoziert.

Während des Zweiten Weltkriegs übersiedelt Fernand Léger in die USA und unterrichtet an der Yale Universität. In dieser Zeit arbeitet er an weiteren bekannten kubistischen Gemälden wie z.B. den im Museum aufbewahrten Le Triennale de Milan, Les Plongeurs, L’Etoile de Mer und Les Acrobates en Gris. Die Technik, die er einsetzt, ähnelt seinen frühen Werken; wiederum sind klare Formen und Farben zu erkennen. Ferner beschäftigt er sich wieder mit der Architektur. Seine Kunst dekoriert dieses Mal das Apartment Nelson A. Rockefeller und die Kirche Notre-Dame-de-Toute-Grace in Assy, Frankreich. Bemerkenswert ist in Letzterem, wie der Maler für seine Gemälde die Techniken der modernen Kunst anwendet, um traditionelle religiöse Themen zu schildern. In den letzten Jahren seines Lebens erschafft Léger seine letzten Projektskizzen und Wandgemälde sowie seine berühmte Skulptur Le Tournesol. Er stirbt 1955.

Die Museumssammlung bietet durch die Fokussierung auf Fernand Légers intensive malerische Auseinandersetzung mit dem gebauten Raum einen neuen Überblick auf sein Werk. Malerei im Raum stellt die wichtigsten Arbeiten des französischen Künstlers vor, die ohne den räumlichen Aspekt nicht angemessen gewürdigt werden können. Die Ausstellung ist bis zum 3. Juli 2016 zu besuchen.

Courtesy Ludwig Museum Köln

_____________________________________________________

DYSTOTAL. Ludwig Forum, Aachen. Text von Julian Schneider

Wenn sich das Neue aus dem Kombinieren des Vorhandenen ergibt, zeigen Konsortium mit ihrer Show Dystotal im Ludwig Forum eine großartige Installation, die Kunstwerke von 17 Künstler*innen zu einem gesamten Großen addiert. Die Halle des Ludwig Forum versammelt 19 Wandarbeiten und vier Skulpturen. Die Wandarbeiten können in zwei sich unterscheidende Formen eingeteilt werden: Das klassisch anmutende Gemälde dessen Material zwischen Holz, Stoff, Aluminium, Acryl, Lack und Öl variiert; Geometrien und Grundformen in Vollfarben behaupten die Motive. Demgegenüber die Fototapete als Träger für Filmstills aus Science-Fiction Blockbustern und einem Computerspiel sowie für eine dokumentarische Fotografie. Diese vier Ergänzungen durch die Kuratorengruppe Konsortium rufen die Frage nach dem inhaltlichen und formalen Konzept der Ausstellung, das die Idee des Gesamtkunstwerks und die verschwimmende Rolle der Künstler*innen und Kuratoren im Verhältnis von Kunstwerk, Referenz und Architektur aufnimmt, hervor.

Ebenfalls von Konsortium selbst ist die konzipierte Architektur im Zentrum der Ausstellungshalle, die den Referenzraum bildet. Zwar wurde diese erstmals 2013 für die Nancy Graves Ausstellung vielbeachtet genutzt, scheint sie jetzt ihre finale Bestimmung getroffen zu haben. Hier soll sich die Struktur der Ausstellung verdichten und das Synergiepotenzial der einzelnen, ausgestellten Kunstwerke und der im Bauhausstil gehaltenen Architektur des Gebäudes der ehemaligen Schirmfabrik Firma Brauer erhöhen. Als Referenzen treten Poster, Recherchefotografien und Schnappschüsse, Platten und Buchcover in „Petersburger Hängung” gegenüber. Gelesen als Impulsgeber und Bezugspunkte aus Alltag und Subkultur sowie aus Literatur und Kunst, sollen sie die Exponate teilweise banalisierend, verweigernd, utopisch und trashig erweitern. Das gegenseitige Erweitern und aufeinander Antworten verhandelt sowohl die Aggressivität der frühen Moderne, die gegen Bildlichkeit und akademische Malerei vorgeht als auch die aus der Moderne kommenden Umwälzungen und der unglaubliche Untergang, der sich für Europa in zwei Weltkriegen und zwei eisernen Fronten zwischen Ost und West manifestierte.

Der wahnsinnige Wille zur Selbstverwirklichung, Innovationsdrang und avantgardistischer Widerstand, durch Manifeste und Gruppierungen, gipfeln im suizidalen 20. Jahrhundert in der Selbstzerstörung. Das Maß aktueller Zerstörung verkörpert die Fotografie eines zerstörten Torbogens der, durch die Terrororganisation Islamischer Staat zerstörten antiken Oasenstadt Palmyra. Bei der Zerstörung im Mai 2015 wurden Mausoleen geplündert und Skulpturen, Tempel sowie drei berühmte Grabkammern der Unesco-Weltkulturerbestätte gesprengt. Dargelegt, bedingt die Zerstörung von Ikonen das Erschaffen neuer Bilder. Eine Science-Fiction Gegenüberstellung bieten das Untergangsszenarium aus Danny Boyles Sunshine von 2007 und die Aufprallszene auf dem künstlich errichteten Planeten Oblivion, aus dem gleichnamigen Film von Joseph Kosinski, 2013 an. In beiden Filmen droht der Planet Erde unterzugehen. Auf das anklingende Thema von Zerfall und Wiederaufbau und damit einhergehende herrschaftspolitische Architekturen reagiert die monumentale Skulptur von Renato Nicolodi, PURGATORIUM II, 2016, die, im Weg vor dem Referenzraum platziert, ein unbeschwertes Betreten verhindert. Im Eingang der Ausstellungshalle nimmt die Stahlarbeit von Gabriel Kuri, Items in care of items, 2008 den Raum ein, deren oberflächlichen Kratzspuren anzeigen, dass Besucher*innen darauf Platz genommen haben. Inmitten der Halle wölbt sich die Bodenarbeit von Sebastian Wickeroth, Ohne Titel, 2016, die ihre Familienähnlichkeit mit den Kupferarbeiten von Carl Andre teilt. Die Wandmalerei von Jan van der Ploeg, WALL PAINTING No. 421, Untitled, 2016 korreliert mit der skulpturalen Arbeit von Martin Pfeifle, Clydesdale Bank, 2016 aus Karton, Klebeband und Lack. Beiden Werken gemeinsam ist ihre ortsspezifische Bezugnahme auf die Stufenform der Bodenvertiefung der Museumsarchitektur, in der der Referenzraum angelegt ist.

Der hinterste Raum, angelegt wie ein Kabinett mit zwei Zugängen, versammelt Wandarbeiten von Heiner Blum, CNN, 2008-2015, von Markus Ebner, Sinnenfundament, 2016 und von Neil Clements, Testbed, 2015. Clements (*1982) ist der jüngste teilnehmende Künstler der Show Dystotal. Die drei ausgestellten Bilder zeigen das designte Stinktierlogo der US amerikanischen Kampfjets von Lockheed Advanced Development Programs (ADP). Subtil wirken die Drastigkeit und Ironie der verharmlosenden Bildsprache des Motivs.

Die ausgestellte Zusammenstellung führt utopische Grundgedanken und Vorstellungen der Menschen des vergangenen Jahrhunderts vor Augen, deren Wurzeln weit tiefer in der Geschichte verschüttet liegen. Unbehaglich präzise steckt die Ausstellung unsere visuellen Bezugspunkte der letzten 100 Jahre ab. Die Sehnsucht nach der Idee, alles neu machen oder sich neu erfinden zu können, verpufft im Schatten modernistischer Ideologien, errichtet auf theoretischen Riesenluftschlössern, die längst eingefallen, geplündert, traumatisiert und therapiert wurden. Was übrig bleibt, ist das Ende eines sich selbst beißenden Rattenschwanzes, ein Taumeln, Zucken und Entsetzen zu den Klängen der Hardcore Punkband Black Flag – deren Auflösung 1986, aufgrund von kreativer, körperlicher und finanzieller Erschöpfung, geschieht.

Photo Julian Schneider

_____________________________________________________

Uri Aran – Mice. Kölnischer Kunstverein, Köln. Text von Carolin Hartmann

Die Ausstellung Mice, also Mäuse, von Uri Aran feierte am 12. Februar 2016 ihre Eröffnung im Kölnischen Kunstverein in der Hahnenstraße und konnte bis zum 27. März 2016 besucht werden. Uri Aran ist 1977 in Jerusalem geboren, arbeitet und lebt mittlerweile in New York und präsentiert in seiner Solo-Ausstellung neben dem Medium Skulptur, auch Filminstallationen, Zeichnungen sowie Malereien mit denen er das Thema der sozialen Wechselbeziehung zwischen Mensch und Tier untersucht. Vereinzelte Werke fertigte der Künstler speziell für die Räumlichkeiten des Kölnischen Kunstvereins an.

Durch die Verwendung alltäglicher Materialen, wie zum Beispiel Stofffetzen, (Tier-)Nahrungsmittel sowie Holz und durch die Einbringung einfacher Formen und Wortteile werden die grundlegenden Richtlinien der Sprache analysiert.

Als Eyecatcher lässt sich sicherlich die in den Raum ragende Installation mit dem Titel The Game betrachten. Die aus Gips angefertigte Platte, in der Mulden in Form von Früchten vorzufinden sind,  erinnert an ein großes Spielfeld aus der Antike auf dem sich Nüsse, Hundeleckerchen und Kugeln verteilen. Die Abdrücke wirken auf dem Gips wie ein Ackerfeld. Jeder Besucher kann aktiv dieses Werk lenken, indem der die  Rolle eines Spielers einnimmt und die Gegenstände bzw. Nahrungsmittel auf dem Spielfeld versetzt. Formen und Materialen beeinflussen den Rezipienten automatisch und fordern ihn auf ein Spiel zu spielen, dessen Regeln nicht erklärt wurden.

Wie schon vom Kunstverein angekündigt, erwecken die filmischen Arbeiten  Emotionen beim Betrachter, denn Ton und Bild erzeugen ein Gefühl von inneren Schmerz und Mitgefühl. Eine besondere Überzeugungskraft hat die Arbeit Dog, in dem ein trauender Mann seinen Hund umarmt und streichelt, als wäre er ein Mensch. Uri Aran gelingt es durch das Zusammenkommen von Bild und Ton den Betrachter so zu beeinflussen, dass man in die Knie geht und sich seinen Gefühlen fügt. Diese Installationen sind als Gegenspieler zur Hauptattraktion The Game zu verweisen, da eine passive aber durchaus absichtliche Fremdbestimmung hervorgerufen wird. Im abgedunkelten Kinosaal wird der Abspann des Kinofilms Der schwarze Hengst aus dem Jahr 1979 mit ergreifender Musik gespielt. In diesem Film geht es um das innige Verhältnis zwischen einem Kind und seinem Pferd, deren Verständigung lediglich auf Gefühlen und Vertrauen basieren und auch keine Worte von Nöten sind. Dahingegen wirken Arans gemalten und gezeichneten Werke, die in der gesamten Ausstellung vereinzelt auftauchten, hauptsächlich im Obergeschoss, eher dezent. Schlichte Formen und die erdtönige Farbwahl erinnert an die abstrakte Malerei der 50er Jahre und wirkt wortlos und frei auf den Betrachter. Der Bezug zur Malerei in den 1950er Jahren bleibt jedoch eine Vermutung.

Beim Besuch seiner ersten Einzelausstellung in Deutschland erhält der Besucher Kenntnis über die Entstehung und Wirkung der Sprache. Das Thema der Ausstellung knüpft an sozial-philosophische Theorien an, die sich mit dem Ursprung eines Begriffs an sich  auseinandersetzen und auch die Anordnung der Werke sollen einen offenen Sprachfluss andeuten. Das Thema ist auch ohne aussagekräftigen Statement einleuchtend. Statt einem kundgebenden Hintergrund gibt Uri Aran seinen Besuchern Anstöße und Eindrücke aus der Tiersymbolik und der Entstehung von Sprache mit auf den Weg.

Courtesy Kölnischer Kunstverein

 _____________________________________________________

KOMM. Ein Projekt der Klasse Prof. Buetti, KIT – Kunst im Tunnel, Düsseldorf. Text von Janina Willems

 „KOMM” lädt einen die angenehme Stimme ein, wenn man die große Treppe hinabsteigt und den unterirdischen elliptischen Ausstellungsbereich des KIT – Kunst im Tunnel betritt. In der aktuellen gleichnamigen Ausstellung gibt es nicht viel für das Auge zu entdecken, aber dafür mächtig auf die Ohren.

Die Klasse von Professor Daniele Buetti, der Kunstakademie Münster, liefert eine gelungene, intensive Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst. Unter der Düsseldorfer Rheinuferpromenade – in einem Raum, der zwischen den Tunnelröhren für den Autoverkehr liegt - sind an den puristischen Betonwänden in regelmäßigen Abständen Lautsprecher angebracht. Die Klanginstallation eine 35minütige Komposition, die in Endlos-Schleife läuft, besteht aus 15 Klangfeldern. Begleitet von einer elektronischen Soundkomposition fordert etwa ein junger Mann verlockend den Zuhörer auf sich fallen zu lassen oder eine junge Frau erzählt von einem erotischen Abenteuer, das sobald es zu pikant  wird von einer weiteren Stimme und ihrer Erzählung überlagert wird. Mehrere Stimmen und ihre Geschichten kommen so zusammen bis ein mittlerweile verständnisloses Stimmengewirr den Zuhörer umschwirrt.

Während der Eröffnung lagen in Gruppen angeordnete große Kissen am Boden. Die Besucher standen, saßen oder lagen – teilweise mit geschlossenen Augen – im gesamten Ausstellungsraum verteilt. In ihren besten Momenten erzeugt die Installation mit ihrer Kombination aus elektronischen Klängen und Stimmen einen hypnotischen Sog, in dem der Besucher sich verlieren kann.  In den schwächeren Momenten wird versucht mit einer derben Unterhaltung zwischen einer Prostituierten und Freiern unter einer Brücke zu schockieren. Das unterbricht die aufgebaute psychedelische Wirkung. Mag bei genauerer Überlegung womöglich als weitere Herangehensweise an den unterirdischen tunnelartigen Ort doch auf mehr als reine Effekthascherei aus zu sein. Einige Klangfelder wandern durch den Raum oder spielen am anderen Ende des Raums auf, sodass der Zuhörer nicht permanent im Mittelpunkt der Klanginstallation steht. Die Ausstellung ist noch bis zum 16.01.2016 zu sehen.

Courtesy KIT - Kunst im Tunnel

_____________________________________________________

Die Kunst der Türken. Modernisierung als Fiktion, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf. Text von Dennis Brzek

Den Einstand gibt standesgemäß einer der ältesten und größten Kunstvereine Deutschlands. In der schönen Landeshauptstadt Düsseldorf wird im zur Zeit von Hans Jürgen Hafner geleiteten Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen die Kunst der Türken präsentiert. Seit seiner Gründung 1829 durch den Maler Wilhelm von Schadow konnte der Verein zu Beginn des 20. Jahrhunderts 14.000, aktuell ca. 3000 Mitglieder unter seinem Dach vereinen. Nach seiner räumlichen Wanderung 1967 in die brutalistischen Wände der Kunsthalle, gründend in der völligen Zerstörung der ursprünglichen historistischen Herberge im Zweiten Weltkrieg, konturierten namhafte Personen sein vielbeachtetes Programm, was 2015 in der Verleihung des AdKV-Preises gipfelte.

Noch bis zum 8.11. zeigt der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf, wie sich die Türkei zum Zeitpunkt des Aufbruchs unter der Leitung von Kemal Atatürk in den 1930er Jahren als sich modernisierendes Wesen verstand. Die Kunst der Türken. Modernisierung als Fiktion, kuratiert von Hafner und dem Künstler Manuel Graf, zeigt dabei exemplarisch auch, wie eine Ausstellung über Ausstellungen funktionieren kann. Frei im Raum flottierende weiße Stellwände tragen die ganze Last eines dekonstruierten Nationalbegriffs, zusätzlich zum Kleber für zahlreiche Papierposter. Gezeigt wird eine durch den Raum wuchernde Anzahl von nachgedruckten Ausstellungsplakaten, Architekturmodellen und Reproduktionen von Gemälden vom 1927 geborenen Adnan Çoker.

Der Kunstverein verwandelt sich somit in eine Messehalle für potentielle Investments in einen modernen Staatsaufbau nach westlichem Vorbild, wie ihn der Kemalismus anstrebte. Aufbau Noch-etwas-weiter-östlich. Präsentiert wird der sich in Kunst überführte Diskurs zur Modernisierung in Form von Plänen, Projekten, Antizipationen, Ideen. Querverbindungen über die Kulturen hinweg, inklusive. So suchten von den Nationalsozialisten vertriebene Architekten wie Hans Poelzig und Bruno Taut Schutz in der Türkei und bezogen hohe Positionen im türkischen Ausbildungsbetrieb. Ihre Rolle als Architekten eines neuen politischen Ankara wird durch Skizzen und Architekturmodelle deutlich.

Zusätzlich erweckt die Dokumentation der staatlichen Kunstausbildung den Eindruck einer künstlerischen Planwirtschaft nach forciert westlichem Vorbild. Noch um 1890 hält die Zentralperspektive in den Malereischulen des Militärs Einzug, danach wird der Assoziation von Abstraktion und Kulturevolution auf den Leim gegangen. In den gezeigten Entwürfen und Reproduktionen entwickelt sich der Prozess der Modernisierung vom Schicksal zur Planung und zur Fiktion. Am Kopf dieser türkischen Tafel hausiert die Fotografie eines Zusammentreffens von Staatschefs aus Palästina und Afghanistan, die sich alle einige Zeit nach der Ära Atatürks an ihrer Version des Projekts „How to lead my middle east country?” versuchen, im Hintergrund erhebt sich dabei eine abstrakte Scheibe von Çoker als Mischung aus aufgehender Sonne und Malewitschs schwarzer Leere.

Der Raum des Düsseldorfer Kunstvereins ist voll gestellt mit kleinteiligen Toren, Fallen, Sackgassen, Löchern, all umhüllt von einer zum Stolpern animierenden Nebelschwade, die sich in dem Gedicht Sis (dt. Nebel) von Tevfik Fikret materialisiert, welches sich am Ende des Raumes die Wand hoch rollt und auf Türkisch unverständlich bleibt. Als strahlender Nebelscheinwerfer fungiert das üppige Beilagenheft, welches als Aperitif oder Nachtisch Verständnis bringt. Und das sogar gratis.

 

Courtesy Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen.