Affairen. Ein semiotisches Haus, das nie gebaut wurde Zu Gast: Janette Laverrière und Henrik Olesen
NAIRY BAGHRAMIAN

ERÖFFNUNG:
Montag 1 September 2008
20 Uhr

GEÖFFNET:
14 September — 11 September 2008

Die in Berlin lebende Künstlerin Nairy Baghramian, geboren 1971, ist in den letzten Jahren zu einer sehr gefragten und daher viel beschäftigten Künstlerin geworden, die mit Einzelausstellungen in der Kunsthalle Basel 2006 und als Förderpreisgewinnerin der Schering Stiftung 2007 von sich reden gemacht hat. Darüber hinaus sorgte sie mit ihren Beiträgen zu den Skulpturprojekten Münster und der Berlin Biennale, sowie ihrer Einzelausstellung im Frühjahr diesen Jahres in der Kunsthalle Baden-Baden für Aufsehen.

Speziell für die Ausstellung im NAK hat Nairy Baghramian ganz neue Skulpturen realisiert, zu der sie die Schweizer Designerin Janette Laverièrre und den dänischen Künstler Henrik Olesen eingeladen hat, die mit eigenen Arbeiten in der Ausstellung vertreten sind.

Affairen, so lautet der Titel ihrer Ausstellung im NAK. Eine Affäre ist eine Angelegenheit, ein Vorfall, der oft in der Politik und Wirtschaft stattfindet und in der Öffentlichkeit als unangebracht, als skandalös beurteilt wird. Eine Affäre ist aber auch der euphemistische Begriff für eine aus den ein oder anderen Gründen geheim gehaltene Liebschaft, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, da sie mit den dort herrschenden Konventionen bricht. In diesem Sinne stellt eine Affäre eine Möglichkeit dar, die potentiell verwirklicht werden kann, die sich aber zuallererst als Gedanke und Vorstellung im Kopf des möglicherweise Beteiligten bildet und in einem komplexen Zusammenspiel des Zufalls und der Gelegenheit möglicherweise in der Realität manifestiert. Die Affäre stellt einen Raum dar, der fragil ist und sich auf einer Parallelebene zur Wirklichkeit befindet, der sich materialisiert und wieder auflöst und eine schwankende Realität aufweist. Es ist ein Raum, der zeichenhaft den Graubereich der Wirklichkeit verkörpert, in dem das Individuum seine unbewussten Intentionen, Bedürfnisse und Wünsche ans Licht treten lässt und sich deren fundamentaler Charakter für die menschliche Wirklichkeitskonstruktion offenbart. Die Affäre, die öffentlich wird, ist in diesem Sinne das Aufscheinen dessen, was normalerweise im Verborgenen auf die wahrgenommene Welt wirkt.

Dem ergänzend gesellt sich das „semiotische Haus, das nie gebaut wurde” im Untertitel der Ausstellung hinzu. Dieses Haus bezieht sich auf eine Idee, die die Künstlerin bereits 2006 im Zusammenhang mit ihrer Ausstellung in der Kunsthalle Basel aufgegriffen hat, und die sie seit dieser Zeit immer wieder in neuen gedanklichen Kontexten und Zusammenhängen weiterverfolgte.

Die Semiotik, die Lehre der Zeichen, ist eine komplexe Theorie, die sich in vielen unterschiedlichen Bereichen anwenden lässt. Verkürzt zusammengefasst, geht die Semiotik davon aus, dass Zeichen eine bestimmte Sache oder ein bestimmtes Ding bezeichnen und dadurch das Bezeichnete von anderem, das nicht bezeichnet worden ist, als bedeutsam hervorheben. Aus diesem Grund ist die Semiotik eine Kommunikationstheorie, da dieser Prozess eine Kommunikation voraussetzt, die durch das Bezeichnen zwischen verschiedenen Partnern eine Welt des Gemeinten und der Meinungen herstellt. Die Welt besteht normalerweise aus vielen Bezeichneten und damit als bedeutsam hervorgehobenen Handlungen und Zuständen. Zeichen treten insofern immer im Plural auf. Für die Kunst ist die Semiotik deswegen zu einer wichtigen theoretischen Grundlage geworden, da die Kunst es leistet, ein einzelnes Zeichen zu isolieren und diesem Zeichen wiederum eine isolierte Bedeutung zuzuschreiben.

Das Haus als Idee beschreibt eine Ansammlung von Räumen, die als unterschiedliche Funktionseinheiten ein gemeinsames, zusammenhängendes System bilden. Ein semiotisches Haus zu bauen, ist in dieser Hinsicht als eine Rückwärtsbewegung zu sehen. Es geht darum, aus fragmentarischen Einzelteilen, aus zusammenhangslosen Bedeutungen wieder ein Gebäude zu erschaffen, das diese zu einem neuen Gesamtzusammenhang zurückführt. Dass dieses Haus nie gebaut wurde, verweist einerseits auf die Schwierigkeit dieses Unterfangens in einer zunehmend pluralistischen Welt, anderseits aber auch auf die pure Möglichkeit, dass ein solches Haus existieren kann.

Der Titel der Ausstellung und auch der einzelnen Werke sind im künstlerischen Schaffen von Nairy Baghramian Bedeutungsebenen, die durch die Räume schwirren und sich dennoch nicht fixieren lassen. Sie funktionieren eher als intuitive Elemente, die sich zur Zuordnung anbieten aber nicht anbiedern.

In ihren Skulpturen und Installationen hat Nairy Baghramian eine Formensprache entwickelt, die in ihren reduzierten Formen an die Moderne erinnern und gleichzeitig durch ihre raffinierten Materialkombinationen, ihre exzentrische Eleganz und Oberflächenschönheit, durch den stilsicheren, zurückgenommenen und präzisen Einbezug von Material- und Formenelementen einen Ansatz offenbaren, der die mitgeführten sozialen, politischen und utopischen Konzepte und Erzählungen unter der Oberfläche sichtbar werden lässt, sich aber nie allzu direkt dem Betrachter aufdrängt. Es entsteht eine vielseitige Referenzialität, die sich von den Objekten auch auf die unmittelbar vorgefundene räumliche, institutionelle und gesellschaftliche Situation hin ausdehnt, die von den Skulpturen von Nairy Baghramian oft neu formuliert und rekontextualisiert wird und so eine ganz eigene narrative und poetische Dimension des Werks eröffnet.

 

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