ANSELM REYLE

ERÖFFNUNG:
Samstag 6 März 2004
20 Uhr

GEÖFFNET:
7 März — 2 Mai 2004

Der in Berlin lebende Maler Anselm Reyle (*1970 in Tübingen) realisiert seine erste institutionelle Einzelausstellung mit einem lokal- und kunsthistorischen Bezugspunkt, dessen Vermittlung sich als ein unvoraussehbar spannendes Unternehmen für das Publikum erweisen wird: Das Projekt entstand aus der Frage nach einer künstlerischen Korrespondenz zwischen dem sehr aktuellen Werk von Reyle und dem Oeuvre des in Aachen geborenen Informel-Malers Karl Otto Götz. Dessen 90. Geburtstag in diesem Frühjahr ist Anlass für eine große Retrospektive im Suermondt-Ludwig-Museum und im Ludwig Forum Aachen (27. März – 30. Mai).

Am Anfang stand vergleichendes Sehen, das sich durch zufällige Nachbarschaften von Werken beider Künstler ergeben hat. Es stellte sich heraus, dass Anselm Reyle die ferne Vorgängerschaft durchaus bewusst ist: durch seinen Karlsruher Professor Helmut Dorner (ein ehemaliger Schüler von Gerhard Richter, der bekanntlich Schüler von Götz gewesen ist) und eine während des Studiums entstandene Leidenschaft für Werke von K.O. Götz in der nahe gelegenen Kunsthalle Mannheim. Eine kunsthistorische Nachfolgeschaft anzutreten, lag ihm nahe, war ein prekäres, doch auch bedeutendes Reflexionsmoment für das eigene Werk.

Anselm Reyles Malerei zeigt noch einmal den schnellen und selbstbewusst freistehenden Gestus von Karl Otto Götz. Doch sie ist jetzt, in unserer heutigen Präsenz und jenen Konstellationen, die Reyle ihr beigibt, ebenso abstrakt wie gegenständlich, ebenso Behauptung wie Zitat. Jeder Pinselstrich wird monumental ausgeführt, durch wirkungsvolle Kontraste und phosphorisierende Farben bis ins Symbolische gesteigert und in demonstrierter Einzelkämpferschaft auf die Leinwand gebracht; jeder dieser Striche wird zum Synonym seiner selbst, begleitet von Spritzern, Kleksen und anderen Nebeneffekten. Das Motiv der Kraft überträgt sich auf solche Leinwände, wo Rahmenbildungen und Carrés erscheinen, jeweils als Formen, die auf physische Weise Verdrängung suggerieren. Reyles malerisches Prinzip greift aus auf Materialbilder und die Kolorierung von Gegenständen. Jene meist vom Sperrmüll stammenden Objekte finden in den Ausstellungsräumen mitten unter den Gemälden Platz, wobei ihre Herkunft durch die Verwendung von Phosphorfarben weitgehend verunklart wird. “Licht und Farbe” meint in diesem irrisierenden, die Moderne evozierenden Zusammenhang Transzendenz, Übergang zu einer Sphäre, die das Materielle überschreitet. In Reyles zeitgenössischer Haltung erscheinen Grenzwerte, Muster und Hinterfragungen dieser Topoi. Die Frage nach der Existenzberechtigung solcher Bilder wird aufgeworfen, Geste wird als Komposition, Komposition als Geste enthüllt.

In dieser Ausstellung betreibt Anselm Reyle ein freies, gegenwärtiges Spiel mit Fragen, die Karl Otto Götz einst, um 1960, zu einem Schwellenkünstler gemacht haben, doch heute kaum mehr wahrgenommen werden. Es ist lohnenswert und in diesem Rahmen erwünscht, eine historisierende Perspektive auf das Werk von K.O. Götz einzunehmen. Seinerzeit ging es um das Aufbrechen von malerischer Komposition und um deren Ablösung. Es ging um Geschwindigkeit und Zufall anstelle von kompositorischer Kalkulation, um Prozess, Bewegung, reine Geste, Auflösung von Autorenschaft. Diese Begriffe wurden für die Generation von Götz’ Schülern, Sigmar Polke, Gerhard Richter, H.A. Schult, Franz Erhard Walther und viele andere, zentral und sollten fortan in unterschiedlichster Weise auf die Überwindung des Expressionismus in der Nachkriegskunst zielen. Die Ausstellung fragt insofern nach akuten künstlerischen Beweggründen für eine Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte der 50er und 60er Jahre, deren Vokabular in den Gemälden und Objekten von Anselm Reyle eine aktuelle, unserer Zeit entsprechende Transformation erfährt.