Beyond Architecture
Horst H. Baumann, Andreas Bunte, Larissa Fassler, Günther Förg, Cyprien Gaillard, Irmel Kamp, Philipp Noller / Mike Kirchner, Karl Hugo Schmölz, Martin Weidemann

ERÖFFNUNG:
Samstag 14 Juni 2014
19 — 21 Uhr

GEÖFFNET:
15 Juni — 3 August 2014

Das Ausstellungsprojekt BEYOND ARCHITECTURE zentriert sich um die vielfältigen Relationen, die das Verhältnis von Architektur und Geschichte kennzeichnen. So wurde das komplexe Ineinandergreifen von historischen Konstellationen und Architektur nicht zuletzt in Michel Foucaults 1975 vorgelegter Analyse des Panopticons beispielhaft markiert. Anknüpfend an eine solche Leseweise sind es zugleich auch modernistische Bauten, die in wiederkehrender Weise als Materialisierungen einstiger utopischer und gesellschaftlicher Konzepte angeführt werden. Doch in welchem Maße erfahren solche Kontexte durch künstlerische Inszenierungen von Architektur eine fortführende Festigung oder Verschiebung? Und inwiefern geht die künstlerische Darstellung von Architektur dabei über die historische Verwurzelung des architektonischen Vorbilds hinaus? Diesem vielschichtigen Themenkomplex möchte sich BEYOND ARCHITECTURE durch eine Präsentation von künstlerischen Positionen annähern, in deren Arbeiten die historischen Konnotationen von Architektur – und insbesondere jene der modernistischen Architektur – auf unterschiedliche Weise verhandelt werden.

Einen ersten Ausgangspunkt bilden dabei die fotografischen Werke von Karl Hugo Schmölz, Irmel Kamp und Günther Förg. Denn jede dieser Positionen folgt in ihrer fotografischen Inszenierung von Architektur zugleich bestimmten historischen Paradigmen. So greift Schmölz mit seiner Fotoserie über das 1948 in Köln errichtete WDR-Funkhaus nicht nur eine Architektur auf, die sich in ihrer modernistischen Ausprägung offensiv vom pompösen Neoklassizismus der jüngsten NS-Vergangenheit abzugrenzen sucht, sondern im selben Moment konzentrieren sich seine Darstellungen von Glasfassade, elegant geschwungener Innenarchitektur und emporstrebenden Treppenaufgängen durchgehend auf Motive, welche ein liberales Kulturverständnis, eine demokratische Transparenz und einen erstarkenden Zukunftsoptimismus als grundlegend für den einsetzenden Neuanfang markieren. Demgegenüber fokussiert sich Kamp in ihren fotografischen Serien auf die Dokumentation jener internationalen Verbreitung klassisch-moderner Architektur, wie sie sich nicht zuletzt durch die Einschnitte der beiden Weltkriege ergeben hat. Folgen Kamps Fotografien in ihren dokumentarischen Qualitäten dabei einerseits den experimentellen Modifikationen des Bauhaus-Stils im Kontext neuer geo-kultureller Bedingungen, so weisen gerade die in Israel aufgenommenen Gebäude oftmals einen deutlich skulpturalen Charakter auf, der die Bauten zugleich als Monumente für das zeitliche Überdauern modernistischer Ideale erscheinen lässt. Obwohl sich Förgs Fotografien über die Bauten des finnischen Architekten Alvar Aalto ebenfalls um einen typischen Vertreter des Neuen Bauens zentrieren, erfahren die Motive in seinen Arbeiten dennoch gänzlich differente Ausprägungen. Denn im Gegensatz zu der noch weitestgehend hochauflösenden und isolierenden Bildstrategie von Schmölz und Kamp, überführt Förg die selbstüberhöhenden Eigenheiten modernistischer Bauten durch Bildausschnitt, Blickwinkel und Bildauflösung gezielt in den Kontext des Alltäglichen. Gerade anhand dieser Kontrastierung gelingt es ihm zugleich erfolgreich jenen merkwürdigen Zwischenzustand einzufangen, in dem sich die noch belebte Architektur modernistischer Bauten zunehmend in den Status historischer Relikte zu wandeln droht.

Anknüpfend an diese Themenkreise führen die jüngeren Positionen von Andreas Bunte, Larissa Fassler, Cyprien Gaillard, Philipp Noller und Mike Kirchner die künstlerische Untersuchung des Verhältnisses von Architektur und Geschichte in unterschiedlichsten Medien fort. So folgt Buntes im Jahr 2012 entstandene Filmarbeit Welt vor der Schwelle etwa der ideologischen Beschaffenheit von religiöser Architektur in Deutschland nach den weitreichenden Einschnitten des 2. Weltkrieges. Mit seinem strategischen Rückgriff auf eine gemeinhin für wissenschaftliche Dokumentarfilme typischen Erzählstruktur gelingt es ihm dabei, die neue Beziehung zwischen Individuum und religiöser Architektur – und damit auch die neue Beziehung zwischen Mensch und dem Konzept des Göttlichen – in scheinbar objektiver Weise zu analysieren und kenntlich werden zu lassen. Demgegenüber überführt Fassler in ihrer Arbeit Kotti den als Konzentrationspunkt von Multikulturalismus, politischen Aktivismus und drohender Gentrifizierung weithin bekannten Ort des Berliner Kottbusser Tors in eine raumgreifende Skulptur aus Pappe. Doch liegt der Schwerpunkt klassischer Architekturmodelle üblicherweise auf der dreidimensionalen Vorführung geplanter Gebäude, so wendet Fassler gerade dieses Prinzip in sein Gegenteil um, da sich die plastische Präsenz ihrer Skulptur nunmehr auf den durch die vorhandene Architektur abgesteckten öffentlichen und negativen Raum sowie dessen historische Inhalte fokussiert. Die bereits immer wieder angeklungenen Aspekte einer von Verschwinden und Zerfall gekennzeichneten Architektur sowie ihres prägenden Charakters für die unmittelbare Umwelt lassen sich zugleich auch als wesentliche Referenzpunkte für das künstlerische Schaffen Cyprien Gaillards anführen. Indem er in seiner fortlaufenden Arbeitsreihe New Picturesque etwa die architektonischen Motive in den Landschaftsszenerien alter Postkarten durch weiße Papierfetzen eliminiert, gelingt es ihm sowohl die Bilder schlagartig aus jeglichem historischen Kontext zu entbinden als auch das weithin etablierte Konzept von Ruinen als einem nostalgisch-romantisierenden Bildelement kritisch vorzuführen. In seinem als Triptychon angelegten Film Desniansky Raion vergegenwärtigt Gaillard hingegen die einst als utopische Experimente initiierten Wohnbauten der Moderne als aktuelle Orte von Zerstörung, Gewalt und Anachronizität und verdeutlicht somit in eindringlicher Weise die dystopische Verkehrung der ihnen ursprünglich innewohnenden Ideale. Die beiden Künstler Philipp Noller und Mike Kirchner nähern sich in ihrem Dokumentarfilm schließlich der vielschichtigen Persönlichkeit des Architekten, Publizisten und Architekturfotografen Werner Blaser an. Nicht nur eröffnet dieser persönliche Rückblick des heute 90-jährigen Blasers dem Betrachter hierbei umfassende Einblicke in die jüngste Geschichte der westlichen und fernöstlichen Architektur, sondern ebenso bietet der Narrativ eine Anzahl impliziter Reflexionen zu den genuinen Konzepten der großen Architekturpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

Auf der Basis einer unmittelbaren Interaktion mit realer Architektur komplementieren die Künstler Horst H. Baumann und Martin Weidemann den Ausstellungskontext darüber hinaus durch zwei ortsspezifische Arbeiten. So verbindet die temporär stattfindende Installation des ursprünglich aus Aachen stammenden Horst H. Baumann durch einen grünen Diodenlaser das Fraunhofer ILT auf dem RWTH Aachen Campus mit dem Lousberger Drehturm, dem Ludwig Forum und dem NAK. Nicht nur verknüpft er damit unterschiedliche Orte, die in seinem persönlichen Werdegang eine wichtige Rolle einnehmen, sondern ebenso setzt er mit Wissenschaft und Kunst zwei wesentliche Kontexte in Bezug, die sich für die städtische Identität Aachens als grundlegend erweisen. Martin Weidemann hingegen realisiert im Rahmen der Ausstellung die zweifarbig gehaltene Folienarbeit XF5-5016 auf der Glasfläche des NAK-Foyers. Mit einer formal auf die Abstraktion der frühen Moderne verweisenden Ästhetik erprobt Weidemann dabei die Möglichkeiten einer graphischen Fortgestaltung von Architektur und initiiert zugleich ein transzendierendes Spannungsverhältnis zwischen Bildfläche und plastischem Raum.

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Larissa Fassler, Kotti, 2008, © Larissa Fassler, Courtesy September, Berlin // Günther Förg, Alvar Aalto (Schulungszentrum), 1993, Architecture I Mappenwerk, 5teilig, Courtesy Werkhallen, Remagen

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Haifa, 1996, Van Nelle (Rotterdam), 2004, Wroclaw/Breslau, 2006, Irmel Kamp, © Irmel Kamp

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Horst H. Baumann, Rheinturm mit Lichtzeitpegel/Modell, 2012, © Horst H. Baumann

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Andreas Bunte, Welt vor der Schwelle 1. o.T. (Kirchen),(16 mm übertragen auf HD Video, Farbe, Ton, 10:27 Min.) 2. o.T. (Language, Truth & Logic), (16 mm übertragen auf HD Video, Farbe, Ton, 2:44 Min.) 2012 © Andreas Bunte

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Karl Hugo Schmölz, NWDR, 1951/2014, © Wim Cox, Courtesy Galerie Van der Grinten

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Mike Kirchner/Philipp Noller, Werner Blaser, 2011, (DVD, Farbe, Ton, 20 Min.), © Mike Kirchner/Philipp Noller, Courtesy Galerie Freitag 18:30, Aachen

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Cyprien Gaillard, Desniansky Raion (DVD, Farbe, Ton, 30 Min.), 2007, © Cyprien Gaillard, Courtesy Sprüth Magers, Berlin

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Ausstellungsansicht BEYOND ARCHITECTURE

Martin Weidemann, XF5-5016, 2014, © Martin Weidemann, Courtesy Galerie WarhusRittershaus, Köln