(F)LUXUS
Nicholas Warburg

ERÖFFNUNG:
Samstag 8 Juni 2024
19 — 23 Uhr

GEÖFFNET:
9 Juni — 28 Juli 2024

Eröffnung: 08. Juni 2024, 19 Uhrr
Laufzeit: 09. Juni – 28. Juli 2024

Begrüßung: Dr. Werner Dohmen (Vorstandsvorsitzender NAK)
Einführung: Maurice Funken (Direktor NAK)

 

Vom 9. Juni bis 28. Juli 2024 zeigt der NAK Neuer Aachener Kunstverein die Ausstellung FLUXUS von Nicholas Warburg. Die Laufzeit schließt den sechzigsten Jahrestag des Aachener Fluxus-Festivals vom 20. Juli 1964 ein, das wiederum am zwanzigsten Jahrestag des Stauffenberg-Attentats stattfand. Warburg übt sich in der Spurensicherung einer Bewegung, die sich im Aufbegehren gegen starre Grenzwächterei in den Künsten verausgabte und verschwendete: Fluxus=Luxus? Die zentrale Arbeit der Soloshow wird eine ausgreifende „Crazy Wall” sein; eine Pinnwand mit, vom Künstler in forensischer Fleißarbeit nachgemalten, Fotos, Karten, Zeitungsausschnitten und Diagrammen – mit roter Schnur verbunden, nach der Art, die im Film von Ermittlern oder Ritualmördern angelegt wird. Bei Warburgs Crazy Wall ist die Grenze zwischen Sinnstiftung und Paranoia fließend: BENDLERBLOCK BEUYS GEDENKSTÄTTE ERWEITERTER WIDERSTANDSBEGRIFF.

Aber von vorne: Das „Festival der Neuen Kunst” mit gut tausend Zuschauenden im Audimax der Technischen Hochschule Aachen endete in einem Eklat und musste vorzeitig abgebrochen werden. Ein verärgerter Student hatte Joseph Beuys ins Gesicht geschlagen. Beuys prügelte zurück und wankte mit blutiger Nase, Kruzifix in der linken Hand und die rechte zum Hitlergruß erhoben in einer bizarrren Teufelsaustreibung über die Bühne. Eröffnet wurde das „Festival der Neuen Kunst” von Bazon Brock mit einer Rede, die er selbst mit einer Endlosschleife der Tonbandaufnahme von Joseph Goebbels’ Sportpalast-Ausruf „Wollt ihr den totalen Krieg?” unterlegte. Fluxus war ein Schockmoment in der alten Bundesrepublik: Der Zweite Weltkrieg war vorbei, das Wirtschaftswunder sicherte vielen Deutschen ein Auskommen und ein neues Selbstbewusstsein. Knapp zwanzig Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus und seinem Bannspruch über „entartete Kunst”, herrschte in Deutschland jedoch weitgehend noch ein Klima gesellschaftlicher und kultureller Stagnation. In dieser stickigen Atmosphäre öffnete Fluxus ein Fenster.

Exakt zwanzig Jahre zuvor, am 20. Juli 1944 hatte eine Gruppe um Oberst Graf von Stauffenberg erfolglos versucht Hitler zu töten. War dies wirklich Widerstand im emphatischen Sinne des Wortes gewesen, oder eher der Versuch eine deutsche Kapitulation zu vereiteln, zu einem Zeitpunkt, als die Niederlage im Zweiten Weltkrieg absehbar war? Die Verschwörer des 20. Juli kamen aus Militär und Verwaltung Nazideutschlands, viele davon aus früherem Adel, waren erklärte Antisemiten und Antidemokraten. Als Zentrum ihrer Vorbereitungen des Attentats nutzen sie den Bendlerblock in Berlin, Sitz des Allgemeinen Heeresamtes, heute „Bendlerblock – Gedenkstätte deutscher Widerstand”.

Warum der Künstler und Fluxus-Gründer George Maciunas das lateinische Wort Fluxus - für Fließen, Durchfluss oder Auflösung – für seine Bewegung wählte, weiß man nicht mehr genau. Vielleicht war ihm „flow” zu trivial oder zu nah an der Finanzwelt. Es ließe sich an „cash flow” denken, oder „affluent” (reich, wohlhabend). Im Deutschen kennt man die Wendung „flüssig sein”. Wiederum bedeutet „to be fluent in a language” eine Sprache fließend zu sprechen. Die Fluxus-Künstler*innen machten die Entdeckung eines Reichtums der künstlerischen Sprachen. Mit Fluxus ist etwas in die Kunstwelt eingetreten, was man als Verzeitlichung der Bildenden Kunst verstehen kann. Durch Fluxus konnten Raum ohne Zeit, wie ihn die herkömmliche, gattungssichere Kunstproduktion immer schon verstanden hat, und Zeit ohne Raum, wie die Musik sie versteht, fusionieren.

Ein Pfad aus roten Perserteppichen leitet die Besucher*innen durch Nicholas Warburgs Ausstellung. Den FLUXUS-Shop im Eingangsbereich hinter sich gelassen, finden sich hunderte manische Zeichnungen von Uhrentests auf Notenpapier. Uhrentests werden zur Diagnose von Demenz angewandt, um die Gedächtnisleistung zu untersuchen. Die Notenblätter sind mit Messern in die Wände gerammt. Hat man einen verschworenen Kreis von zwei Meter hohen kruzifixartigen Vogelscheuchen passiert, leiten einen die Teppiche ins Obergeschoss, wo sich bei flackernden Neonröhren die zentrale Arbeit von Warburgs Soloshow auftut: eine ausgreifende „Crazy Wall” – eine überdimensionierte schwarze Pinnwand mit, vom Künstler in forensischer Fleißarbeit nachgemalten, Fotos, Karten, Zeitungsausschnitten und Diagrammen; mit roter Schnur verbunden, nach der Art, die im Film von Ermittlern oder Ritualmördern angelegt wird. Beuys nannte seine Aktionssequenzen „Kukei, Akopee – Nein!, Braunkreuz – Fettecken – Modellfettecken”. In Warburgs Spurensicherung tritt u. a. der Fall Beuys prominent auf: eine oft schwer entwirrbare Mischung aus genialen Grenzverschiebungen in der Kunst, Kritik von autoritären Strukturen, aber auch fragwürdigen Seilschaften, magischen, auch völkischen Denkfiguren, nicht zuletzt in der Herleitung seines erweiterten Kunstbegriffs, der manchmal einen Beiklang von einer schöpferischen Kraft des Volkes hat.

Kurz nach dem Fluxus-Festival lernte Beuys den Kunstsammler Karl Ströher kennen. Ströher war Erbe des Darmstädter Wella-Konzerns. Er hatte zu den Gründern einer Ortsgruppe des „Stahlhelms” in seinem Wohnort gehört und kurz nach der Machtübergabe an Hitler die NSDAP finanziell unterstützt. Karl Ströher und sein Bruder Georg setzten Zwangsarbeiter ein und beteiligten sich an der Rüstungsproduktion, die Umsätze des Unternehmens explodierten ab 1939. Sie denunzierten ihre ehemaligen Geschäftspartner Hollander&Kohn als Juden und übernahmen deren Betriebe. Die Ströhers machten diese Arisierung beim Finanzamt steuermildernd geltend und verklagten Hollander&Kohn noch nach dem Krieg, weil diese den Namen eines Wella-Produkts kopiert hätten, der vor der Arisierung jedoch von diesen selbst geprägt worden war. Ströher kaufte 1967 eine komplette Ausstellung von Beuys und sicherte sich das Vorkaufsrecht an dessen Arbeiten. Aus der entstandenen Sammlung speist sich z. B. der „Block Beuys” im Landesmuseum Darmstadt, der weltweit größte zusammenhängende Werkkomplex Beuys’. Ohne Ströher wäre Beuys’ Karriere ab den 60er Jahren nicht in dieser Form denkbar gewesen. Bald führte er die internationale Kunstrangliste der Zeitschrift Capital an. Kunst = Kapital, Fluxus = Luxus? Sind Nicholas Warburgs rote Fäden sinnfällig oder paranoid? Was will uns der Künstler damit sagen: BENDLERBLOCK BEUYS GEDENKSTÄTTE ERWEITERTER WIDERSTANDSBEGRIFF?

 

Nicholas Warburg (*1992, Frankfurt am Main) studierte Kunst am California Institute of the Arts in Santa Clarita und an der Städelschule in Frankfurt am Main (Meisterschüler von Tobias Rehberger). Seine Arbeiten, die sich auf ambivalente Weise mit deutscher Geschichte und Kunstgeschichte auseinandersetzen, wurden im Kunstpalast Düsseldorf, Kunstmuseum Marburg, Kunsthalle Portikus und Kunstraum Potsdam gezeigt. Er erhielt Preise, Stipendien und Residenzen der Künstlerhilfe Frankfurt, Stiftung Kunstfonds, neuen Gesellschaft für bildende Kunst Berlin, des Mousonturm Frankfurt, Q21 Wien und den Lichter Art Award. Seit dem Wintersemester 2021/22 ist er Gastdozent an der Universität der Künste Berlin.

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